Interessanter als der wunderschöne Liedbeitrag des WDR Kinderchors zu Dortmund sind die Reaktionen auf die Reaktionen darauf. Achtung: Es wird scharf geschossen!
Z.B. Micky Beisenherz im STERN:
Der erregungsaffine Normalbürger, seit geraumer Zeit längst zum Schnellkochtopf verkommen (durchgenudelte Verhöhnungsstandards wie Boomer oder alter, weißer Mann mal bewusst ausgeklammert) fand ob der Neuvertonung des Kinderliedes schnell reichlich Mitwütende.
[…]
Wenn man dem Lied eines vorwerfen kann, dann höchstens, dass es für eine anständige Satire eigentlich nicht hart genug war.
[…]
Satire darf alles- solange sie die anderen trifft, klar. Ein bisschen mehr Belastbarkeit täte allen ganz gut. Und eine generelle Abkehr von einem Klima des Misstrauens, das dem Gegenüber grundsätzlich die niedersten Beweggründe unterstellt und alles, was gegen MICH geht, grundsätzlich erst einmal unter Strafe stellen will.
- Nein, Micky, kein Kinderlied. Schlager/Volkslied, 30er Jahre.
- Ich erklär’s dir mal: Das war eine öffentliche Aufführung eines Werks vor Publikum und was du jetzt siehst, ist die Reaktion auf eben diese Aufführung. Sieht so aus, als ob ein großer Teil den Krampf, den man da verkauft, eben kacke findet. Das sind im Allgemeinen keine „erregungsaffine Normalbürger“, sondern das ist das Publikum. Scheint vielen bei den „Medien“ gar nicht mehr klar zu sein. Die meisten echauffieren sich überhaupt nicht, die finden es eben nur Scheiße was man da verzapft und können das auch öffentlich sagen. Es gibt kein Recht der Qualitätsmedien auf Applaus und Begeisterung.
- Ferner hätte mir meine Mutter zu Recht eins in die Fresse gehauen, wenn ich meine Oma als „Umweltsau“ beschimpft hätte. Denn zu meiner Zeit gab es noch so reaktionäre Dinge, wie gutes Benehmen, Höflichkeit und Respekt vor dem Alter. Ist außer Mode, aber noch nicht verboten.
- Niemand will so etwas unter Strafe stellen oder verbieten. Geschmacklosigkeit kann man nicht verbieten.
- Die 9 bis 13-jährigen Kinder, die da sowas unreflektiert in das Mikro singen, überschauen gar nicht, dass es sich dabei um eine politische Aussage handelt. Die Tatsache, dass über Kinder neuerdings politisch/ideologische Propaganda verbreitet wird (nicht erst seit Greta), ist zutiefst Nordkorea!
- Ihr ahnt gar nicht, wie sehr ihr euch euren ideologischen Scheiß (siehe: Exkurs) in den Hintern stecken könnt. Die Oma (in uns allen) ist jedenfalls für die Klimakatastrophe nicht verantwortlich.
Just my two cents.
*
Eine zweite erwähnenswerte Stellungnahme kommt vom Wochenblatt „Die Zeit“. Dort schreibt David Hugendick (Kultur):
Nationalheiligtum deutsche Oma
[…] Und es ist ja so: Wenn es gegen Rentner geht, versteht Deutschland keinen Spaß. Der deutsche Rentner gilt ja vielen andauernd als verfolgte Unschuld, als (wenn man den Boulevardmedien glaubt) unentwegtes Ziel systematischer Benachteiligung, und die Oma noch mehr als der Opa. Mit Opa hat Deutschland eine, freundlich gesagt, schwierigere Geschichte, während die „Oma“ als lebensweltliche Chiffre mit Güte verbunden wird, mit Entbehrung, Fürsorge und unverdächtigen Sonntagnachmittagen, an denen der Kaffee so schäumt wie sonst nie. Die deutsche Oma ist offenbar ein Nationalheiligtum. Dass der Kinderchor im WDR die Chiffre „Oma“ nun allerdings benutzt, um damit eine Generation zu kennzeichnen, die klimatisch gesehen über die Verhältnisse lebt, muss unter diesen Bedingungen schon als Provokation durchgehen.
[…]
So wie man die Ursprungsversion als eine allgemeine Ehrerbietung an die fröhliche Durchgeknalltheit der Wohlstandsoma an sich verstehen konnte, so muss man die neue Version als Kritik an der klimapolitischen Durchgeknalltheit der Wohlstandsrentnergeneration verstehen, die kaum zu leugnen ist.
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2019-12/wdr-kinderchor-umweltsau-oma-klima-kommentar
Ich mache mir wirklich Gedanken, in was für einer schrecklichen Parallelwelt sich der Autor befindet, wenn es (im Umkehrschluss) wohl „verdächtige Sonntagnachmittage“ und irgendwie „schuldige Rentner“ in seiner Erlebniswelt geben muss. Und irgendwie kriegt man überall den toxischen Begriff „National“ hinein, wenn man sich ein wenig Mühe gibt. Godwin lässt grüßen. Was aber nur zeigt, dass er sich auf dem gleichen Nazi-Trip wie Danny Hollek befindet, aber dabei die Oma („Mit Opa hat Deutschland eine, freundlich gesagt, schwierigere Geschichte“) verschont.
Hm, mal sehen, ob das wirklich alles stimmt.
Journalistenverband fordert von WDR Rückendeckung für freien Mitarbeiter[…]„Dass WDR-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen dieser öffentlichen Debatte nun sogar Morddrohungen erhalten, ist vollkommen indiskutabel“, teilte eine WDR-Sprecherin dem Tagesspiegel mit. „Wir bieten diesen Kolleginnen und Kollegen Personenschutz an und gehen mit allen juristischen Mitteln gegen entsprechende Drohungen vor.“ Dies gelte für feste ebenso wie für freie Mitarbeiter.
Intendant Tom Buhrow hat sich „erschüttert“ über Morddrohungen gegen WDR-Mitarbeiter wegen des viel kritisierten „Umweltsau“-Lieds geäußert. „Wir werden das nicht dulden, ich gehe mit allen juristischen Mitteln dagegen vor“, sagte der Chef des größten ARD-Senders am Montag im „Mittagsmagazin“ auf WDR 2.
Also, man sollte die Morddrohungen auch jetzt nicht überbewerten, so haben wir doch eine allgemeine Neigung zu weniger Tötungsdelikten. Es kann vermutet werden, dass subjektives Sicherheitsgefühl und objektive Sicherheit der Journalisten im Missverhältnis stehen. Vielleicht sind viele Morddrohungen auch nur humorvoll/satirisch gemeint.
Deutschland ist sicherer geworden, so sagen es die Sicherheitsbehörden. Und sie können sich auf Daten stützen. Verglichen mit anderen Staaten und vergangenen Jahrzehnten ist Deutschland ein sehr sicheres Land.
Skandalös gut :-)) Für die @WDR2-Comedy wurde ein Kinderlied umgetextet: „Meine Oma ist ne alte Umweltsau.“ Humorlose Kritiker sind natürlich bereits in Schnappatmung verfallen und haben 17,50 Euro Blutdruck. Aber das gehört ja zur Folklore hier :-) https://t.co/HZW1no6mMv
— Udo Stiehl (@udostiehl) 27. Dezember 2019
https://twitter.com/udostiehl/status/1210939194274648065
Nochmal: Die Frage ist überhaupt nicht: Was darf Satire? Natürlich darf Satire das. Aber mit Kindern Politik bzw. Ideologie zu machen, das ist erbärmlich.
[UPDATE: 2.1.2020]
Erwartungsgemäß stellen sog. ExpertenTatortreiniger übereinstimmend fest, dass nur Rechte sich über den Kinderchor aus der WDR-Propagandaküche aufgeregt haben:
Umweltsau“-Satire des WDR: Empörung kam laut Analyse von rechts
[…] deutet eine Analyse darauf hin, dass Rechte und Rechtsextreme die Empörung gezielt angefacht haben. Rechtskonservative Medien sowie Politiker griffen das Thema auf.
Na dann ist das Weltbild ja wieder in Ordnung. Verdammt, der WDR und Danny sind Opfer einer rechtsradikalen Verschwörung geworden. Wer hätte das gedacht!
Lesen wir mal weiter (über Tweet-Analyse von Luca Hammer):
Mehr als die Hälfte der Tweets aus rechtem Spektrum
Interessant an der Account-Analyse ist auch, dass sie zwei große „Empörungs-Cluster“ ausmacht, die sich kaum berührt, aber untereinander retweetet und verbreitet hätten. Obwohl sich demnach nur 23 Prozent der insgesamt rund 44.000 beteiligten Accounts einem eher rechten Spektrum zuordnen ließen, kamen 52 Prozent der Tweets aus dem entsprechenden Cluster.
Quelle: oben
Also, 23% kamen (angeblich, wir glauben das jetzt mal) aus dem „rechten Spektrum“ (was immer das auch heißen mag, wir stellen uns das mal jetzt als einen großen braunen Topf vor), das heißt, dass 77% eben nicht aus dem (eindeutig) rechten Spektrum kamen. Sein „Empörungs-Cluster“ (hä? Das sich kaum berührt? Wieder Kontaktschuld ohne Kontakt?), ist nur auf spekulativer Ebene eindeutig rechts. Ferner handelt es sich lediglich um eine „Tweet-Analyse“, also ausschließlich um Auswertung von Twitter-Accounts (5.3 Millionen in DE, zum Vergleich Facebook: Im März 2019 32 Millionen nur in DE). Was will uns der Verfasser damit sagen? Die unzähligen Kommentare in der Berichterstattung darüber und auf andere Social-Media-Plattformen blendet er mal einfach aus. Also Kaffeesatzleserei.
Interessant ist auch, das Luca Hammer in einem früheren Beitrag bei DLF Twitter selbst (wie ich oben) einordnet:
„Man muss grundsätzlich sagen, dass Themen auf Twitter nicht so wichtig sind für die Gesamtbevölkerung, weil nur ein ganz kleiner Teil dort ist.“ Luca Hammer, Datenanalyst
Man schließt beim DLF mit folgendem Resumee:
Der Politikberater und Blogger Martin Fuchs zeigte sich gegenüber den Deutschlandfunk-Nachrichten ebenfalls überrascht, „wie einfach es der (kleinen) rechten Blase erneut gemacht wird ihre Narrative mit den bekannten Strategien digital weit zu verbreiten.“ Die etablierten Medien hätten dem vermeintlich unbedeutenden Thema durch ihre Berichterstattung zusätzlichen Auftrieb gegeben – und dadurch am Ende selbst verloren. „Im WDR wird man nach der Debatte um das Video hoffentlich Prozesse und Strukturen ändern, um zukünftig besser auf solche orchestrierten Empörungen reagieren zu können“, forderte Fuchs.
Fazit: Alles klar: Organisierte Meinungsmache und orchestrierte Empörung gibt es nur in der rechten Blase. Was „besser auf solche orchestrierten Empörungen reagieren“ heißt, lassen wir mal offen? Gulag? Aber, vom Ergebnis, wie immer bei solchen Aktionen: ÖR.Selbstreflexionsfähigkeit = 0.
[UPDATE: 4.1.2020]
Lesenswert: stefanolix hat in zwei Beiträgen die obigen Analysen von Luca Hammer intensiver untersucht, als ich das getan habe, obwohl wir im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen gekommen sind. Zu den Untersuchungen geht’s hier: Teil1: „Die Datenanalyse des SPIEGEL zur Umweltsau-Affäre“, Teil2: „WDR: Eine Datenanalyse in eigener Sache dient dem Framing in eigener Sache“. Es bezieht sich dort auf den „Spiegel“, ich beziehe mich auf den Deutschlandfunk, der sich auf den Spiegel bezieht.