Gender-Rhetorik: Eine kleine Analyse

Über kein Thema gehen derzeit die Meinungen so weit auseinander wie beim Thema „Gender“. Für die einen ist es das zentrale Thema einer diskriminierungsfreien Kultur, für die anderen ist es der Vorgeschmack auf die marxistisch-feministische Hölle, die Abschaffung der Familie und der gesamten bürgerlichen Gesellschaft im Namen einer zweifelhaften Diversität. 

Wir machen es uns einfach: Eine Hypothese ist eine unbewiesene Annahme. Durch Definition der Voraussetzungen, Deduktion und empirische Untersuchung wird diese Hypothese entweder widerlegt oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bestätigt und damit zu einer Theorie. Eine Theorie kann also immer begründet werden mit einer Mischung aus Logik und Forschung. Dabei versucht der seriöse Forscher seine Hypothese nicht nur zu bestätigen, sondern er sammelt genauso Argumente, die gegen seine Annahme sprechen könnten.

So weit, so gut.

Gleichberechtigung ist eine Idee der Aufklärung und bedeutet, dass alle Menschen gleiche Rechte haben sollten.

  • Eingriffe in die Gleichberechtigung werden als Diskriminierung bzw. Privilegierung bezeichnet.
  • Diskriminierung: jemand wird wegen sachlich nicht gerechtfertigter Gründe, beispielsweise rassistisch, wegen seines Geschlechts oder seiner Sexualität etc. rechtlich benachteiligt.
  • Privilegierung: jemand wird rechtlich bevorzugt.

Im Grundgesetz beschäftigt sicher der Artikel 3 mit der Gleichberechtigung:

  1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
  2. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
  3. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Feministischer Ansatz

Die Freiburger Soziologin Nina Degele (2008) nennt in Gender studies / Queer studies unter Rückgriff auf Janet Saltzman Chafetz drei den verschiedenen Forschungsperspektiven der Fachrichtung gemeinsame Postulate:

  • Postulat des Geschlechts als „zentraler Fokus der Theoriebildung“
  • Postulat der Problematik gegenwärtige Geschlechterverhältnisse
  • Postulat, dass diese gegenwärtigen Geschlechterverhältnisse weder „naturgegeben noch […] unveränderlich“ seien.

Quelle: Wikipedia Genderforschung https://de.wikipedia.org/wiki/Gender_Studies

Diese sehr allgemein gehaltenen Axiome sind also die Grundlage der Genderforschung. Interessant ist die Tatsache, dass mit der Nutzung des Begriffs „Problematik“ schon eine moralische Kategorie ins Spiel gebracht wird, wir erinnern uns an den „Problembären“ und wie das ganze für ihn ausgegangen ist. Soziale Verhältnisse (d.h. menschliche Verhältnisse), auch jenseits von Geschlechterverhältnissen, sind im Allgemeinen immer irgendwie „problematisch“, weder „naturgegeben“ noch „unveränderlich“. Der feministische Ansatz ist also ein rein deduktiver (d.h. nicht empirischer) Ansatz, der zudem noch außerordentlich weich und unpräzise formuliert ist und moralische Urteile impliziert. Also aus feministischer Sicht: Das Patriarchat unterdrückt systematisch Frauen d.h. Benachteiligung für Frauen. Das wertfreie Beschreiben fehlt hier.

Bei „feministischen“ Ansätzen handelt es sich zwar teilweise um empirische Beschreibungen gesellschaftlicher Verhältnisse, diese Beschreibungen werden aber mit Werturteilen und politischer Strategie vermischt. Da keine Trennung von Beschreibungen, Erklärungen, Werturteilen, Hoffnungen und Wünschen erfolgt, sind solche Aussagen einer systematischen empirischen und theoretischen Analyse und rationalen wissenschaftlichen Diskussion nur schwerlich zugänglich. Theoretische Aussagen im Sinne von ‚Wenn-Dann-Sätzen‘ oder Allsätzen sind jedoch selten zu identifizieren. Damit handelt es sich bei ‚feministischen Ansätzen‘ nicht um Theorien im Sinne der analytischen Wissenschaftstheorie.

Quelle: Schnell, Rainer/Hill, Paul B./Esser, Elke 2011: Methoden der empirischen Sozialforschung, München, S. 109 f.

Gender-Rhetorik, Textbeispiel (ILSE LENZ: Keine Angst vorm bösen Gender)

Früher waren die Weiber schuld, dann war es der Feminismus und heute sind es Gender und die Genderforschung. Kleine, aber stimmgewaltige Kreise greifen die Genderforschung seit einiger Zeit heftig an und fordern ihre Abschaffung. Sie sei unwissenschaftlich, pervers, aus ihr spreche Männerhass oder gleich Wahnsinn („Gender-Gaga“). Die Kritiker sind politisch zumeist im neoliberalen, rechtskonservativen und rechtsextremen Spektrum zu Hause. Sie befinden sich in fundamentalistischen kirchlichen Gruppen, unter „Männerrechtlern“, in der AfD oder bei Pegida, aber durchaus auch in der „bürgerlichen“ Presse. Einige schrecken vor Hass und Drohungen bis zu Mord und Vergewaltigung nicht zurück.

Quelle: http://www.tagesspiegel.de/wissen/serie-gender-in-der-forschung-1-keine-angst-vorm-boesen-gender/12258504.html

Die Satz-für-Satz-Analyse:

Früher waren die Weiber schuld, dann war es der Feminismus und heute sind es Gender und die Genderforschung.

Kommentar: Dies ist ein klassisches Stammtischargument auf dem Niveau: „Früher war mehr Lametta.“ Jeder, der Frauen, Feminismus oder Genderforschung kritisiert, gehört in die Kategorie Opa Hoppenstedt und Aberglaube: Frauen auf See bringen Unglück und Frauen können nicht einparken.

Kleine, aber stimmgewaltige Kreise greifen die Genderforschung seit einiger Zeit heftig an und fordern ihre Abschaffung.

Kommentar: Die Gruppen, die die Genderforschung angreifen, sind angeblich nicht der Rede wert aber sie sind laut und heftig. Die Frage wäre: Fordern diese „Gruppen“ wirklich alle die Abschaffung der Genderforschung oder vielleicht nur eine bessere Begründung? Die Kritiker der Genderforschung sind m.E. keine homogene Gruppe. Es gibt sicher unterschiedlichste Motivationen, Genderforschung zu kritisieren.

Sie sei unwissenschaftlich, pervers, aus ihr spreche Männerhass oder gleich Wahnsinn („Gender-Gaga“).

Kommentar: Das Problem der Genderforschenden ist ein Problem der Kommunikation zwischen gesellschaftlichen Gruppen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Vorerfahrungen. Daher ist es generell für Gender-Befürworter schlecht nachvollziehbar, warum diese ideologische Konstruktion überhaupt infrage gestellt wird. Andersherum ist es für genderferne schwer nachvollziehbar, wie die angeblichen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Genderforschung überhaupt zustande kommen. Wenn die Kommunikation zwischen diesen Gruppen zusammenbricht, entstehen Vorurteile. Auf beiden Seiten. Es gilt eine differenzierte und wissenschaftliche Betrachtungsweise beizubehalten.

Die Kritiker sind politisch zumeist im neoliberalen, rechtskonservativen und rechtsextremen Spektrum zu Hause. Sie befinden sich in fundamentalistischen kirchlichen Gruppen, unter „Männerrechtlern“, in der AfD oder bei Pegida, aber durchaus auch in der „bürgerlichen“ Presse.

Kommentar: Es ist selbstverständlich und normal, das gesellschaftliche Veränderungen (ob nun notwendig oder nicht) Widerstände auf den Plan rufen. Der Widerstand und die Skepsis gegenüber den Genderforschung und den damit verbundenen Gestaltungsansätzen (z.B. in der Sprache) durchzieht die gesamte bürgerliche Mitte. Sinnvoller wäre es, die Absichten und Ziele die man hat, besser zu vermitteln. Andere Frage: Wie paranoid muss eigentlich ein Mensch sein, der außerhalb seiner eigenen Position nur noch Feinde wahrnimmt.

Einige schrecken vor Hass und Drohungen bis zu Mord und Vergewaltigung nicht zurück.

Kommentar: Ok, das ist wirklich so, einige tun das, das kann man nicht gut finden.

Zusammenfassung: Was mich erschreckt ist, dass diese Aussagen voller Aggression und böser Etikettierungen sind. Wenn die wissenschaftlichen Grundlagen der Genderforschung die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Veränderung belegen, warum kommt es dann nicht zum öffentlichen Diskurs? Es müsste der Genderforschung eigentlich ein Leichtes sein, in öffentlichen Diskussionen die Argumente ihrer Gegner zu entkräften, um damit eine breite Akzeptanz in der gesellschaftlichen Mitte zu erreichen.

Dagegen findet man in den entsprechenden Gender-Portalen fast ausschließlich zornige Artikel wie oben, die meist schon im zweiten Satz Kritiker als Gegner in die rechte Ecke stellen und dann seitenlang Meditationen über die bösen Eigenschaften der privilegierten Feinde der gesellschaftlichen Gerechtigkeit absondern. Feministische Pranger-Portale werden geschaltet, um den angeblichen Feinden der Ideologie irgend etwas entgegenzusetzen. Es erinnert leider stark an die klassische marxistische Rhetorik zum Thema „Klassenfeind“, mit dem man nicht diskutiert, den es zu „beseitigen“ oder zu „überwinden“ gilt. Auf der einen Seite, das Konzept der gesellschaftlichen Revolution „vorwärts immer, rückwärts nimmer“, auf der anderen Seite die Idee von der evolutionären gesellschaftlichen Entwicklung, die alle Errungenschaften langfristig erprobt und Änderungen nur sehr langsam zulässt.

Es geht der Genderforschung offensichtlich nicht um eine Verbesserung der Verhältnisse der gesamten Gesellschaft, sondern nur um die Verhältnisse ihrer (vorgestellten) Klientel: Frauen und andere unterdrückte und marginalisierte Gruppen. Und auch keine Aktivistengruppe beansprucht derzeit so aggressiv Deutungshoheit wie die Genderforschung, außer vielleicht die sog. „Tierrechtler“ oder Abtreibungsgegner.

Fazit

Die gesamte Rhetorik ist durchsetzt mit subtiler Aggression und Diskreditierung eines imaginierten Gegners. Kaum wird inhaltlich diskutiert und wissenschaftlich begründet, warum die von den Gegnern kritisierten Maßnahmen sinnvoll und notwendig sind. Viele der angeblichen wissenschaftlichen Belege entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Taschenspielertricks („Das Genus ist dem Sexus sein Nexus: Die empirischen Forschungen der feministischen Linguistik“, Link-Info: https://www.danielscholten.com). Es ist aber die Pflicht eines seriösen Wissenschaftlers, die Methoden und Erkenntnisse seiner Arbeit öffentlich zu vermitteln. Wenn Wissenschaftler sich nur noch im erlauchten Kreis der Vertreter konvergenter Ansichten bewegen, kommt der Diskurs und damit auch der Erkenntnisgewinn zum Erliegen. Erst wenn eine Theorie die Kritik der Gegner überstanden hat, kann sie als bewährt gelten.

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